Futures Thinking in VUCA-Zeiten — Unsere Herangehensweise

Igor Schwarzmann
Third Wave
Published in
6 min readApr 13, 2021

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Bild-Credits: AP Photo/Manuel Balce Ceneta

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Versuch mal dieses Bild Diplomat:innen aus den 90er Jahren zu erklären. Spätens mit dieser Gedankenübung wird schnell klar: Die bestehenden Modelle waren nicht ausreichend, um die Zukunft vorherzusagen, in der wir aktuell leben. Die Idee, dass QAnon, eine Verschwörungstheorie, mit Hilfe von Plattformen wie Youtube & Facebook, Millionen von Anhängern gewinnt, ist immer noch für viele an der Macht schwer nachzuvollziehbar. Geschweige den, dass diese Anhänger einen Präsidenten in den USA haben werden, der einen Sturm auf die wichtigsten Regierungsorgane anheizt.Warum sollten wir also glauben, dass die gleichen Modelle uns helfen werden die nächsten 30 Jahre zu planen?

Neben den vielen Auswirkungen einer Pandemie ist auch die Planungsfähigkeit in Zeiten des kollektiven Zukunftsverlusts eine massive Herausforderung für uns alle. Statt langfristige Strategien und Pläne zu machen, sind wir enorm von akuten Problemen eingenommen. Ist es möglich die Kinder in die Schule zu schicken? Ist es überhaupt sinnvoll? Wie hoch ist die Inzidenz heute? Können wir ruhigen Gewissens die Verwandten besuchen fahren? In der jüngeren Geschichte gibt es viele Momente, die auf viele von uns eine große Auswirkung hatten. Doch keins davon hat uns als ganze Menschheit so kollektiv betroffen wie der Coronavirus.

Früher mussten wir uns viel Mühe geben diese vier Wörter, die zusammen für VUCA stehen, in einem nachvollziehbaren Kontext zu bringen. Einem Akronym, welches es aus dem Jargon des US-Militärs in die Quartalspräsentationen deutscher Mittelständler geschafft hat. In den letzten Jahren, und spätestens seit der Pandemie, ist es deutlich einfacher geworden. Alle haben eine Beziehung zu diesen Begriffen. Praktisch jeder ist ihnen letztes beim Blick auf Börsenkurse, Infektionsraten oder den Schalgzeilen begegnet. Diese Erfahrung prägt die Fähigkeit eine wünschenswerte Zukunft gestalten zu wollen und zu können.

Wer heute für die Zukunft planen möchte, braucht eine grundlegend andere Herangehensweise, um sich zu orientieren.

Interlude — Eine kurze Definition von Begriffen

Signal — Eine aktuelle Information, die auf eine mögliche Änderung in der Zukunft hinweist.

Muster — Eine Sammlung von Signalen, die zusammen eine mögliche Änderung in dieselbe Richtung nahelegen.

Trend — Eine Hypothese darüber, wie sich ein Thema in Zukunft entwickeln könnte.

Szenario — Die Beschreibung einer möglichen Zukunft, die sich aus einer Kombination von Treiber & Trends zusammensetzt.

Unsere Antwort auf diese Herausforderungen: Futures Thinking

Über die letzten Jahre haben wir durch Recherche und Erfahrungen unseren Kernprozess entwickelt, der durch eine Orientierung an möglichen Zukünften die Gestaltung einer wünschenswarten Zukunft ermöglicht.

Research — Wir suchen kontinuierlich nach Signalen möglicher Veränderungen und nutzen ethnologische Methoden wie Interviews, um aktuelle Entwicklungen als Hinweise auf zukünftige Transformationen zu erkunden.

Sensemaking — Basierend auf unserer Erfahrung in der Trendforschung identifizieren wir Muster, um relevante Entwicklungen zu antizipieren, die für deinen Kontext spezifisch sind. Wir präsentieren jeden Trend mit Erklärungen, zugehörigen Signalen und Wahrscheinlichkeiten für die nahe Zukunft, nach denen du auf deinem Radar Ausschau halten solltest.

Futuring — Von Worldbuilding über Szenarioentwicklung bis zu Experiential Journeys und Design Fiction verwenden wir verschiedene Methoden, um anschauliche Geschichten, Bilder und Artefakte möglicher Zukünfte zu schaffen, die du, dein Team und deine Organisation erkunden und bewerten können.

Vision & Mission — Ausgehend von deiner bevorzugten Zukunft entwerfen wir eine Narrative für deine Organisation und helfen dir deine Rolle in dieser zu definieren.

Organisation & Kultur — Entlang dieser Vision begleiten wir deine Organisation bei dem Wandel von Kompetenzen, Strukturen und Kultur, um sie so für einen nachhaltigen Erfolg aufzustellen.

Strategie & Produkte — Wir unterstützen deine Organisation dabei, die Vision durch Product Thinking auf den Weg zu bringen, inklusive Konzeptentwicklung, Prototyping, Content-Strategien, etc.

Die blinden Flecken der klassischen Zukunftsforschung

Klassische Zukunftsforschung und Foresight-Arbeit setzt vor allem auf die Perspektive von Expert:innen und ist deshalb von deren Vorurteilen und blinden Flecken beeinflusst. Unbewusste Vorurteile und Annahmen der Beteiligten im Bezug auf ihre Zukunftserwartungen werden weder identifiziert noch reflektiert. Das führt dazu, dass immer wieder die gleichen Zukunftsbilder reproduziert und letztlich der Status Quo aufrecht erhalten wird. Der Horizont bleibt eng, so dass alternative Zukünfte und neue Wege nicht entdeckt werden können.

Um die Möglichkeiten außerhalb der gewohnten Pfade zu erkennen und Raum für echte Innovation zu geben, setzen wir in unserer Herangehensweise auf zwei Aspekte: Zum einen versuchen wir von Anfang an die Annahmen selbst zu einem Zukunftsprojekt zu machen. Zum anderen bauen wir insbesondere beim Scanning auf so genannte Zentauren-Lösung, d.h. wir kombinieren die jeweiligen Stärken von Mensch und Maschine, um kontinuierlich Trends zu beobachten. So können Machine-Learning-Algorithmen in den Weiten des Webs vielfältige Signale finden und konstant verbessert werden, während wir Menschen besonders gut Muster erkennen und über Relevanz entscheiden können.

Unser Research-Prozess & Output

In der Praxis bedeutet das, dass unser Algorithmus auf unserer „Trend-Warte“ konstant neue Signale zu verschiedensten Themen sammelt. Wir werten diese Signale aus und ordnen die relevanten verschiedenen Themen-Datenbanken zu. Das wiederum dient dem Algorithmus als Feedback für die weitere Suche.

Aus der Datenbank der relevanten Signale bedienen wir uns für unsere Output-Formate — von Zukunftsreports über Futures Sprints mit Kunden bis zu Kommunikationsmitteln wie unserem Newsletter.

Für den Umgang mit Trends nutzen wir zahlreiche bewährte Methoden und Frameworks wie STEEPL zur ganzheitlichen Betrachtung des Kontexts eines Themas, die Trend-Definition von Pilkhahn und die Issue-Priority-Matrix von Wilson zur Relevanz-Bewertung eines Trends für Kunden.

Wir haben schon häufiger über Zukünfte statt Zukunft gesprochen. Auch unser obiges Modell, der Diamant, orientiert sich an der wichtigen Arbeit von anderen Menschen, die das Feld von Foresight maßgeblich geprägt haben. Wir arbeiten daher gerne und viel mit dem Future-Cone-Modell und auch immer mehr mit Backcasting, um aus den unterschiedlichen Zukunftsszenarien, die wir für und mit unseren Kunden entwickeln, in greifbare Roadmaps aus der präferierten Zukunft zu transformieren.

Future Cone & Backcasting Modelle

Unsere Foresight-Projekt sind in ein grundsätzliches Verständnis der Futures Thinking Maturity (Reife) der Organisation eingebettet. Jeder Kunde hat unterschiedliche Erfahrungen mit Zukunftsthemen gemacht und ist anders aufgestellt. Dementsprechend muss der Prozess immer wieder neu angepasst werden. Dazu kombinieren wir Foresight mit Organisationsdesign, um eine nachhaltige Implementierung der Zukunftsvision zu ermöglichen.

Entwicklung von Futures Thinking in Organisationen nach Reifegrad über drei Ebenen

Wir starten mit dem Assessment des Status Quo, kreieren während des Projekts bei möglichst vielen Stakeholdern Ownership und planen den Rollout mit individuellen Workshops und Formaten für die individuellen Bereiche und ihren Kontext.

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Product of more than one country. Design Strategy & Foresight. Partner @thirdwaveberlin. I can suspend your disbelief.