Third Wave Insight Talk: E-Mobilität — E-Zigarette, der neue Plug, Alltagswahnsinn, Ladekeule und Zukunft

Jonas Drechsel
Third Wave
Published in
5 min readNov 9, 2021

--

Basis des Insight-Talks ist die Beobachtung, dass Igor Schwarzmann sich zuletzt mal wieder intensiv mit einem heiß diskutierten Zukunftsthema auseinandergesetzt hat. In dem Fall: E-Mobilität im Kontext eines Kundenprojekts und dem Leasing eines neuen Autos.

Der Text entstand aus einem Gespräch mit mir, Jonas Drechsel, Senior Researcher bei Third Wave und ist selbstverständlich nur eine Momentaufnahme des Denkens, Stand 07.10. 11:00.

Plug E-Auto in

Der aktuelle Kaufpreis von Elektroautos ist in Deutschland aktuell noch sehr hoch, die meisten wohl bei über 40.000€+. Auch dadurch haben sie eine Marktdurchdringung von unter 2%. Wir unterscheiden zwischen rein elektrisch, plugin-hybrid und hybrid wie zum Beispiel der Toyota Prius einer ist. Letzteres ist nochmal eine eigene Welt.

@possessedphotography

Interessant sind E-Autos, bei denen eingesteckt wird, um dann Strom zu verbrauchen. Die Plugin-Hybride sind eine Übergangstechnologie. Sie bieten eine Möglichkeit für den Einstieg und die Vermittlung von Vorteilen, auch wenn der ökologische Vorteil recht eingeschränkt ist.

Die Menschen kaufen ihr Auto nicht für den Alltag

Kleine elektrische Fahrzeuge mit der Idee von Fokus auf das Fahren und der Nutzung in der Stadt schränken die Reichweite bzw. mögliche Mobilitäts-Anwendungen eher ein. Das ist problematisch für das Image des E-Autos, denn die Menschen kaufen ihr Auto oft nicht für den Normalbedarf, also die 90%-Alltagsanwendungen, die auch elektrisch leicht machbar wären — laut einer Studie sind 25% der Fahrten unter einem Kilometer. Stattdessen kaufen viele Menschen für den Edge-Case. Den Extremfall, der ja immer mal eintreffen könnte: “Was wenn ich spontan an den Gardasee fahren will?”

Da helfen größere E-Fahrzeuge, die neben der größeren Reichweite auch mit höherer Sicherheit verknüpft werden. Externalisierte Faktoren werden dabei zumeist ausgeblendet. Entsprechend war die Abkehr von einem Kleinwagen als Verbrenner hin zu einem hybrid Mittelklassefahrzeug mit größerem Kofferraum ein großer Schritt für Igor, der zugleich subventioniert wird. Aktuell gilt in Deutschland: Bei Verbrennern wird 1%, bei hybriden Fahrzeugen 0,5%, und bei Vollelektro gar nur 0,25% des Bruttolistenpreises als geldwerter Vorteil versteuert.

Von Ladesäule zu Ladesäule

Hybride werden also auch ohne Laden subventioniert — sie werden nicht umsonst auch “Beraterkutschen” genannt. Igor jedoch fährt seinen hybrid im berliner Alltag primär elektrisch — von Ladesäule zu Ladesäule statt von Haustür zu Haustür. So — und nicht durch den Kauf des Autos — nimmt der eigene Beitrag zur Luftverschmutzung auch wirklich ab. Hierfür muss dem Auto aktiv ein anderer Modus angesagt werden: Die meisten lassen wohl das Auto wählen, jedoch kann auch vollelektrisch als Standard gewählt werden. So funktionieren die 90% des Alltags elektrisch und der Edge Case im Sinne von Langstreckenfahrten auch ohne Verzicht.

Eigentlich würde Igor, das ist ihm durchaus bewusst, in Berlin auch ein kleineres Auto reichen. Das Langstreckenfahrzeug benötigt er für sechs Wochen im Jahr. Er fragt sich: Wo sind die Businessmodelle und Regulation, die das gut möglich machen? Steuerrechtler würden bei der Suche wahrscheinlich durchdrehen. Außerdem sind die Autohersteller aktuell sehr daran interessiert das Fahrzeug als Erweiterung des Wohnens zu etablieren. Sharing Economy bleibt deshalb wohl eher ein interessantes (Nischen-)Konzept, für die, die sich kein Auto leisten wollen. Werden so die gefahrenen Kilometer reduziert? Eher nicht.

@theshubhamdhage

Sind E-Autos die Zukunft von Mobilität?

E-Mobilität steht in direkter Beziehung mit autonomem Fahren, sie sind in den Köpfen der Entscheider*innen technologisch verwoben. So sollen mehr Kilometer gefahren werden, während sich die Vorstellungen von Besitz wandeln. Autonom fahrende Autos, wie sie aktuell geplant werden, könnten ggf. auch einfach unfassbar teuer werden werden. Das elektrische, leise Fahrzeug ist das Bild der Zukunft der Industrie. Daran ändern auch aktuelle Diskussionen um Wasserstoff wenig.

Ob E-Autos sich in Zukunft weiterhin über Lenkrad, Pedale und unserer Funktion als Fahrer*in definieren lassen? Daran darf gezweifelt werden, gerade auch weil die Industrie anderes im Kopf zu haben scheint. Dennoch sind wir von einem “Luxury Communism” in dem das robotisierte Auto vollautomatisiert alles für uns erledigt noch Jahrzehnte entfernt — sollte es überhaupt ein realistisches Zukunftsbild sein, welches für die Mehrheit der Menschen funktioniert.

Dabei dürfen in Deutschland vollautonome Autos bereits unter bestimmten Bedingungen fahren. Das macht aktuell aber niemand. Wir fühlen uns damit nicht wohl. Und mit “wir” sind die weißen, westlichen CIS-Männer gemeint. Die “anderen” — nicht zum “wir” gehörenden — sollten noch nervöser sein. Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe werden von autonomen Fahrzeugen vielfach äußerst unpräzise erkannt. Der menschliche Bias überträgt sich auf die Technik, welche in Deutschland nochmals rechts von der Gesetzgebung überholt wurde. Statt das autonome Fahren jedoch an hochkomplexen Anwendungen zu verbrennen werden wir in den nächsten Jahren eher Versuche in vergleichsweise dafür prädestinierten Strecken erleben.

E-Auto besser als E-Zigarette?

Das E-Auto bringt neue Stärken mit sich, birgt aber auch neue Gefahren. Die Lithium-Akkus werden aus giftigen, schwer abbaubaren Materialien gebaut. Die schwerwiegenden Auswirkungen auf Ökosysteme sind dabei gar nicht mal so trivial.

@markusspiske

Kulturell scheint eine völlige Abkehr vom Individualverkehr auf vier Rädern kaum vorstellbar. Elektromobilität trägt dazu bei, indem sie das ökologische Gewissen beruhigt, ohne zu viel Freiheit zu nehmen. Es gilt gesellschaftlich herausfinden, ob wir etwas anderes finden wollen. Wenn ja, finden wir auch Lösungen. Städte nehmen Autos immer mehr Raum. Auch die Diskussion um Mobilität auf dem Land wird wohl noch an Brisanz gewinnen.

Igor berichtete mir außerdem von Entscheidung für ein Auto, die erst vor wenigen Jahren positiv ausfiel: Es ist einfach bequemer und stellt für die Patchwork-Familie und den Hund ein Safespace vor der Dichte mit anderen Menschen in den Öffis dar. Sein Hauptgrund war dabei weniger die Schnelligkeit, sondern die Chance auf einen stabilen Zufluchtsort. Der Stress des Staus ist immer noch harmloser, als in der nicht fahrenden U-Bahn mit Hund, Kind und anderen Menschen. Das Auto als psychologischer Safe Space. Die viel diskutierte 15 Minuten Stadt könnte hier in vielerlei Hinsicht auch hilfreich sein.

Entsprechend bedarf der Mobilitätsmix der Zukunft ein Verständnis für all die individuellen Geschichten der ganzen, unterschiedlichen Edge Cases. Subventioniert werden sollten dann die Dinge, die für Mensch und Umwelt funktionieren — denn Klimaziele brauchen radikale Veränderungen.

____

Alle Bilder von https://unsplash.com/

--

--

Senior Researcher bei Third Wave & kritischer Zukunftsforscher mit MA Zukunftsforschung (FU Berlin).