Third Wave Insight Talk: Metaverse — es geht nicht um den aktuellen Hype Cycle

Jonas Drechsel
Third Wave
Published in
6 min readDec 13, 2021

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@daniele_franchi

Basis des Insight-Talks ist die Beobachtung, dass Johannes Kleske sich zuletzt mal wieder intensiv mit einem heiß diskutierten Zukunftsthema auseinandergesetzt hat. In dem Fall: das Metaverse, bevor Facebook sich entsprechend umbenannt hat. Ich habe Johannes Diskursbeiträge dazu über die letzten Monate versucht zusammenzutragen. Ziel heute wäre es, die Gedanken zu strukturieren und für alle — zumindest für mich — noch nachvollziehbarer zu machen. Zunächst. Was ist das Metaverse überhaupt und warum wurde so viel darüber gesprochen?

Der Text entstand aus einem Gespräch mit mir, Jonas Drechsel, Senior Researcher bei Third Wave und ist selbstverständlich nur eine Momentaufnahme des Denkens, Stand 14.10. 10:30.

Metaverse in möglichst einfacher Sprache

Die einfache Definition der abstrakten Idee des Metaverse ist schon mal ein erstes, ernstes Problem. Schauen wir auf die lange Historie der Idee, die allgemein gesprochen auf dem Konzepts einer digitalen Onlinewelt, eines virtuellen Raumes, basiert. Der erste Name dafür war Cyberspace — eine nicht physische Welt, in die man einchecken kann. Die Idee wurde durch Science Fiction anfang der 80er-Jahre populär und ist bis heute gekennzeichnet durch eine Wechselwirkung von SciFi, Philosophie und Wirtschaft.

@wilmerlens

Die konkrete Form des erlebbaren Cyberspace ist Virtual Reality, also ein virtueller 3D-Raum. Auch davon funktioniert bisher längst nicht so viel, wie sich das die Apologeten des Metaverse vorstellen. Doch mit jedem neuen Versuch wird einem etwas weniger übel — wobei wir hier von der Anwendung sprechen, nicht unbedingt von der dahinterstehenden Philosophie.

Heute wird Metaverse als eine omnipräsente, dezentralisierte Plattform im Kontext von „web3“ diskutiert. Ein solches „neues Internet“ ist die Narrative einer gewissen Gruppe von Leuten, die sich ein Metaverse in ihrem Sinne schaffen wollen. Dafür bringen sie technologische Konzepte zusammen und propagieren ihre Vision des neuen, umfassenderen Internets.

Von Virtual Reality-Brille zu einer großen, neuen Erzählung

Johannes Kleske schrieb 2014 in seinem Blog, ganz dem Puls der damaligen Zeit folgend, über das Metaverse als etwas, das sich jetzt mit der VR-Brille Oculus Rift eine realistische Möglichkeit für das nächste große Ding wird.

https://johanneskleske.com/iico-2014-vortrag-der-geist-in-der-maschine/

Spoiler: Wurde es nicht. Aber es war der Übergang zu einer breiteren Diskussion um das Metaverse heute. Nerdfantasien haben eine Idee groß gemacht. Jetzt und immer werden die Weichen für die langfristigen Konsequenzen diverser technologischer Innovationen gelegt, die gerade aufploppen.

Dazu Kleske in einer Diskussion auf Linkedin: “IMHO the Metaverse is not a technology. It seems more like a narrative construct involving certain specific technologies but mostly just stories and expectations about the future, just like Artificial Intelligence. The idea of this construct is to sell a certain future. The article you posted is from an industry insider who is only quoting other industry insiders. All of them have a financial interest in more people buying into the inevitability of the Metaverse.”

Heute hat sich Kleskes Vorstellung zum Metaverse gegenüber dem zitierten Artikel noch erweitert. Seiner aktuellen Einschätzung nach „wird versucht, das Metaverse extrem detailliert zu beschreiben und technologisch umsetzen, um Unausweichlichkeit herzustellen.“

@daniele_franchi

Das Thema ist dabei kein kurzfristiger Trend, kein fünf Jahreshorizont-Ding, sondern wird eher in den nächsten 15–20 Jahre an Fahrt aufnehmen und sich konstant entwickeln. Während in einer früheren VRiante die technologischen Nerdfantasien im Mittelpunkt standen, bildet sich gerade ein ganzheitlicher, theoretischer Unterbau heraus, der jenseits von technologischer Realisierung, dessen Grundlage bildet. Kleske befürchtet, dass entsprechende Investments, mögliche Regulierungen und technologische Entwicklungen auf eine bestimmte Vision des Metaverse aufgegleist werden sollen, um eine prophylaktische Pfadabhängigkeit zu schaffen.

Zuckerberg forciert Metaverse-Hype: Was ist dran?

Der Spiegel titelte im August 2021, Facebook würde das (grandios gescheiterte) Second Life neu erfinden. Das wirkt, als ob hier etwas lächerlich gemacht werden soll, was man selbst nicht so genau verstanden hat. Denn wenn Facebook mehr machen wolle als PR und Oculus, dann trifft es Second Life nicht richtig. VC Matthew Ball, einer der führenden Sprachrohre im Diskurs, sieht das Ding jedenfalls als viel größer an. Doch wenn er betont, dass die Realisierung erst in 15–20 Jahren kommt, ignoriert er bewusst oder unbewusst unsere vorherrschende Attention Economy.

@googletrends

Der Hype Cycle startet gerade und führt dazu, dass entsprechende Sprachrohre des Metaverse sich den Hype bezahlen lassen. Dann ist schon viel passiert, denn diese Akteure können nach dem Hype etwas langfristiges aufbauen. Und nochmal: Wer heute sagt er setzt Metaverse schon um, hat das Thema noch nicht richtig verstanden

Nehmen sich Technologiekonzerne SciFi-Dystopien als Vorbild?

Kleske schrieb in einer Diskussion, davon dass sich ein bestimmtes Muster — von Minority Report bis Snow Crash — immer wieder wiederholt: Tech-Konzerne verstehen Dystopien als Blaupausen. Im Film Minority Report wird eine Zukunftswelt beschrieben, in der absolutes Tracking bis hin zu Algorithmen, die vorhersagen, wann jemand ein Verbrechen begeht, die Normalität ist. Dies findet heute Ausdruck in beispielsweise personalisierter Werbung bis Predictive Policing. Wir glauben nicht unbedingt, dass solche Welten bewusst in unsere Lebensrealität übergehen. Vielmehr ist das ein starkes Indiz für die Performanz unserer Zukunftsbilder. Kleske: “A certain future is invoked by constantly repeating that it is THE future and that everybody NEEDS to get on board.”

@zekedrone

Wenn die Warnung vor Dystopien nicht hilft: Was tun?

Kleske verweist auf die Diskussion um den Bestseller-Autor Harari. Dieser kritisiert das Silicon Valley, wird aber von ihm bestbezahlt für Vorträge gebucht, weil er dessen Grundprämissen immer wieder bestätigt: “Let me explain what I mean by that via an anecdote: You might have read Yuval Harari’s HomoDeus, in which he delivers harsh criticism of a future promoted by Silicon Valley. In a recent interview, he voiced his bafflement over tech companies continuing to invite him to give talks. But the reason for that is quite simple, actually. In his book, he takes everything Silicon Valley proposes as fact and “the future” and then criticizes it. He accepts the “premise of their future” and thus legitimizes it. Every time Harari speaks about this, he solidifies the expectation that their future is the future, no matter how much he then calls for a more democratic or just version of it.

Angewandt auf das Metaverse heißt das laut dem kritischen Zukunftsforscher: “If your take is that the Metaverse is the future playing field, and we have to fight for it being a fair and just game. That is absolutely laudable. But I think that as long as we play a game on the playing field that Silicon Valley has started, there’s just no way we can win. It will always remain their game. The only way to play this is to create a different playing field.”

Wenn also mächtige Akteure den Rahmen für den Diskurs setzen, hilft es nur anderen Diskurse zu Wirkmächtigkeit zu verhelfen: “At this point, I’d rather investigate true alternatives TO the Metaverse instead of different alternatives OF the Metaverse.”

Was sehen wir nicht, weil wir über Metaverse sprechen? Achten wir mal weniger auf den digitalen Zugang und werfen einen Blick auf das Soziologische. Dann kann geschlussfolgert werden, dass Tokenomics, ein potentiell ausschlaggebender Ansatz innerhalb des Metaverse, zwar auf die unter umständen durchaus wünschenswerte Dezentralisierung setzt, das aber in einer Form der Macht orientierten Merokratie. Um alternative Welten zum Leben zu erwecken, müssen andere Herangehensweisen entwickelt werden. Mit Bezug auf Jathan Sadowski Smart City-Kritik: “sabotaging the efforts of those who would erect barriers to alternatives“

Dazu ein highly recommended reading:
https://reallifemag.com/future-schlock/

Metaverse ist mehr als VR, aber auch mehr als eine versteckte Werbekampagne für den neuen Matrix-Film

Anstatt bittere Pillen zu schlucken, plädiert Kleske für eine gesunde Ernährung. Klar ist eine Oculus irgendwie geil (Johannes spielt dort vor allem Minigolf), aber solch ein Tool kritisch zu nutzen heißt nicht, alle Prämissen zu akzeptieren. Als kritische Zukunftsforscher blicken wir auf eine Geschichte der Zukunftsforschung zurück, die durch das “nicht gehört werden” gekennzeichnet ist — eben weil sie nie an wirklichen Alternativen gearbeitet hat. Ob man damals mit Kybernetik oder heute mit KI mithilfe von Rechenpower alles berechnen will… das kann und darf weder die menschliche, noch die einzig denkbare Zukunft für diesen Planeten sein!

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Senior Researcher bei Third Wave & kritischer Zukunftsforscher mit MA Zukunftsforschung (FU Berlin).